Schaprode, im August 2016. Gutshäuser mit Namen Streu kommen in Rügens Geschichte gleich zweimal vor. Das bei Bergen gibt es nicht mehr; es wurde nur an die hundert Jahre alt und 1971 abgerissen. In vollem Glanz dagegen und mit langer Tradition zeigt sich die Gutsanlage Streu bei Schaprode – eine wachgeküsste Schönheit. Am Wochenende konnten sich gut 80 Einheimische und Urlauber bei einer zweistündigen Führung davon überzeugen.
Dominant hinter dem Eingangstor zum heute rund drei Hektar großen Areal leuchtet rechterhand in strahlendem Weiß das Herrenhaus in neugotischem Baustil. Die Information am Parkeingang über die anderen Gebäude deutet auf die einstige wirtschaftliche Bedeutung des Gutes mit Ländereien um die 250 Hektar: Statthalterhaus, Inspektorhaus, Schnitterkate, Pferdestall, Kornspeicher, eine zum Wohnhaus umgebaute Scheune und der Düngerschuppen – alles erhalten oder wiederhergestellt. Dazwischen und rundum der gepflegte Park, der Waldrand, die Gärten.
Einer der Teilnehmer an der Führung ist Wolfgang Hinterland. Der Rentner aus Tribsees hatte miterlebt, wie die Gutsanlage zum Ende der DDR-Zeit und nach der Wende verfiel: „Das Herrenhaus stand leer und war in Teilen zerstört. Im Nebengebäude wohnten zwei Einzelbauern mit ihren Familien. Ihre Schweine hielten sie im Pferdestall. Zwischen den Gebäuden in der heruntergekommenen Parkanlage waren Straßenplatten aus Beton verlegt.“ So sah es aus als sich das heutige Eigentümerehepaar Gisa und Hans-Peter Reimann aus Hamburg im Jahr 2001 entschlossen, die Gutsanlage zu erwerben – sie, ehemalige Lehrerin und Schulbuchautorin, er, vor dem Ruhestand Manager im Hamburger Hafen. Den Zustand vor und nach der Sanierung dokumentieren die Bilder am Ende dieser Seite.
1992 war das Objekt von der Treuhand „vermarktet“ worden. In der Folge wechselte es dreimal den Eigentümer, von denen keiner ein schlüssiges Konzept für die Folgenutzung realisieren oder eine nachhaltige Finanzierung sichern konnte. Mit Erwerb des ehemaligen Adelssitzes Streu vor 15 Jahren wollte sich das Ehepaar einen Wunschtraum für die Zeit nach dem Berufsleben erfüllen. Nicht ohne Anflug von Zweifel und Skepsis, ob man sich denn mit dem Mammutprojekt verheben könnte. „Geniest doch euren Ruhestand und hängt euch nicht solch ein Objekt ans Bein,“ so der Tenor im Familien- und Freundeskreis, schließlich hatte die gesamte Anlage den Charakter einer Ruine angenommen.
Ein bisschen hanseatische Sturheit spielte wohl mit, dass die beiden den unter Denkmalsschutz stehenden Komplex mit Hartnäckigkeit anpackten und durch die Sanierung der Insel Rügen ein historisches Juwel hinzufügten. „Für uns ist es jetzt ein Dreigenerationenhaus mit Tochterfamilie und vier Enkeltöchtern“, berichtet Hans-Peter Reimann bei der Führung übers Gelände. Tochter und Ehemann betreiben auf dem Gelände die Tierarztpraxis Puvogel. Man sieht sich auch der Geschichte des Ortes verpflichtet: Die Außenanlage ist ganzjährig für Besucher zugänglich, und einmal im Jahr führen die Eheleute Besucher durch Gelände und Haus. Geöffnet wird es auch zum „Tag des offenen Denkmals“.
Beeindruckt ist Martina Seifert aus Fürstenfeldbruck in Bayern. Sie hatte von der Führung in der Ostsee-Zeitung gelesen und ihren Mann bekniet: „Da müssen wir hin.“ Seit 15 Jahren verbringen sie auf Rügen ihren Urlaub. Jetzt, wo die Kinder groß sind, können sie auch auf Kulturtrip gehen. Da kam die Führung durch Streu gerade recht. Von der Energie der Eigentümer ist die Bayerin beeindruckt: „Wo andere beim Generalunternehmer alles in Auftrag geben, ist das hier in eigener Regie wiederhergestellt worden. Respekt.“
Am Torpfeiler von Streu erinnert eine Gedenktafel an Hans Volckmann. Sein Vater hatte Gut Streu 1899 erworben und wurde nach vier Adelsfamilien erster bürgerlicher Besitzer. Das 250 Hektar große Gut hatte Sohn Hans von 1922 an erfolgreich bewirtschaftet. Später kam es auf Gut Streu regelmäßig zu konspirativen Treffen führender Generäle der deutschen Wehrmacht – im Widerstand zu Hitlers Kriegspolitik. Ab 1934 wurde Hans Volckmann mehrmals von der Gestapo verhaftet und ins Konzentrationslager Bredow bei Stettin gesteckt. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler 1944 kam Volckmann in die Haftanstalt von Stralsund. Mit der Bodenreform wurde er enteignet. Gut Streu wurde unter Neubauern aufgeteilt und später in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) „Einheit“ zusammengefasst.
Was aus Hans Volckmann danach wurde, weiß der Rambiner Ortchronist Prof. Wolfgang Heun während der Führung zu berichten: „Volckmann, inzwischen als Verfolgter des Naziregims anerkannt, konnte in Götemitz bei Rambin einen devastierten Landwirtschaftsbetrieb erwerben und wieder aufbauen.“ Aber auch damit sei nicht Frieden in Volckmanns Leben eingekehrt. 1953 setzte er sich wegen des Drucks, den der DDR-Staat auf Bauern ausübte, nach Westdeutschland ab. „Ein Jahr später ging seine Götemitzer Bauernschaft in der LPG Rothenkirchen auf“, weiß der Rambiner Ortschronist. „In Gut Streu spiegelt sich auch Stück deutscher Wirtschafts- und Sozialgeschichte wider,“ findet Teilnehmerin Dr. Ilse Führer-Lehner aus Gelsenkirchen, „erst in adliger Hand, danach in bürgerlichem Besitz, dann Volkseigentum und jetzt beim kapitalkräftigen Bürgertum.“
Werte Familie Reimann,
Am diesjährigen Tag des Denkmals nahmen wie die Gelegenheit wahr , das wieder auferstandene Gutsherrenhaus anzusehen . Es war ein Erlebnis , das Anwesen zu sehen , Jazz bewundern , mit welchem Steh- und Standvermögen Sie dieses Kleinod Ihrerseits bewundernswert rekonstruiert und restauriert wurde .
Wir wünschen Ihnen noch viel Freude und werden unseren Freunden und Gästen einen möglichen Besuch empfehlen.
Weiterhin GLÜCK AUF !
Regine & Siegfried Jander
Wir sind am letzten Wochenende der Einladung von Familie Reimann gefolgt und können nur ergänzend sagen, dass sich ein Besuch zu jeder Jahreszeit lohnt. Die Aufnahme war herzlich, die Führung über das Gut interessant. Ein gutes Beispiel wie man mit historischem Erbe auf der Insel umgehen sollte (auch in Bezug auf die Geschichte von Hans Volckmann (1885-1953). Wer unseren Eindruck noch einmal nachlesen möchte, ist dazu gern eingeladen: http://www.inselreport.de/2018/03/zwischen-sund-und-kap-arkona-20.html
Wolfgang Heun und Hans-Peter Reimann haben in gemeinsamer Arbeit das Leben des ehemaligen Gutsbesitzers von Streu (1912 bis 1953) auf 39 reich bebilderten Manuskriptseiten unter dem Titel „Hans Volckmann, Landwirt unter Reichsadler, Hakenkreuz und Ährenkranz“ ausführlich beschrieben. Im RUGIA-Journal 2018 (erscheint voraussichtlich im September 2017) soll eine Kurzfassung zum Thema erscheinen. Erst dann kann die ausführliche Fassung publiziert werden. Die Quellen waren vor allem die von Sven Krollpfeiffer und seiner Frau Sue freundlicherweise zur Verfügung gestellten Unterlagen und Dokumente, Akten aus dem Archiv des Amtes Westrügen und Zeitzeugenberichte. Das Manuskript wird Bestandteil der Chronik der Gemeinde Rambin und des Gutes Streu und ist dort nach Ablauf der Sperrfrist zu nutzen.
Durch Zufall bin ich auf Ihre Veröffentlichung zum Gutshaus Streu gestoßen. Eigentlich hatte ich nach Ihrer Mail.-Adresse gesucht, um mich für die wunderbare Führung durch das Kloster Rambin am 29.04.2023 zu bedanken, auf der Sie für meinen Geschmack etwas zu wenig zu Wort gekommen sind. Aber Sie hatten ja freundlicherweise vorab die wichtigsten Fakten auf einem kleinen Zettel verteilt. Vielen lieben Dank dafür!
Petra Stuppe