Rambin-Rothenkirchen, Juli 2015. Kuhglocken läuten nicht an ihrem Hals. Aber glücklich könnten sie wohl sein. Jedenfalls müssen die 28 Rinder ihr Leben nicht länger in Ställen fristen, denn jetzt grasen sie unter freiem Himmel auf der Weide in Rambin-Rothenkirchen. Genauer: auf dem Grasland hinter dem Deich am süd-östlichen Kubitzer Bodden. Aufgezogen wurden die Tiere in den nahegelegenen Ställen der Agrar-, Produktions- und Vertriebsgemeinschaft (APV). Dass die Bullen jetzt eine gewisse Freiheit auf dem 60 Hektar großen Weideland genießen, verdanken sie mittelbar dem Bau der Ostsee-Erdgaspipeline „Nord Stream“ zwischen dem russischen Wyborg und Lubmin bei Greifswald.
Und das kam so zustande: Das russisch dominierte Konsortium „Nord Stream AG“ hatte auf Druck der Umweltorganisationen BUND und WWF zum ökologischen Ausgleich für die Inanspruchnahme der Ostsee und einzelner Uferflächen zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Damit wurde die Ostseestiftung gegründet, die sich seit 2011 Naturprojekten im Küstenbereich widmet.
Das Grasland am Kubitzer Bodden, auf dem sich jetzt die elf Monate alten Rinder wohlfühlen, war einst eine Küstenüberflutungsfläche. Durch den Wechsel von Vernässung und Austrocknung bildeten sich Salzwiesen heraus mit einer einzigartigen Fauna und Flora. Dieses einst an den Boddenküsten weit verbreitete Ökosystem wurde mit Anlegen der Deiche und Intensivierung der Landwirtschaft zerstört.
Jetzt soll auf dem Areal nahe der Neuendorfer Kate langfristig die ursprünglichen Natur wiederhergestellt werden. Bislang wurde die Fläche regelmäßig gedüngt und dreimal im Jahr gemäht. Seit zwei Jahren wird kein Dünger mehr aufgebracht. An einigen Stellen befindet sich heute schon eine sogenannte Magerwiese. Was eher nach Mangel klingt, ist aus ökologischer Sicht eine Rarität in unserer hoch kultivierten und intensiv genutzten Landschaft. Jetzt gibt es nur noch einen Pflegeschnitt pro Jahr, den Rest besorgen die Weidetiere. So können sich selten gewordene Pflanzen gut vermehren und viele Tierarten ansiedeln.
Was für das Öko-Projekt unternommen wurde und was künftig passieren wird, erklärt APV-Geschäftsführer Dr. Manfred Möller: „Die Rinder sind einige Monate für den Aufenthalt im Freien vorbereitet worden, sie konnten sich auf einer Freifläche unseres Hofes an den Elektrozaun gewöhnen“. Das 60 Hektar große Areal habe man mit einem Weidezaun gesichert und mit Gattern in drei Sektionen eingeteilt. „Die Rinder der Rasse ,Holstein-Friesian’ müssen sich erst an das magere Gras auf der Weide gewöhnen“, betont Möller. Deshalb gebe man den Tieren auf der Weide derzeit zusätzlich eine gehaltvolle Übergangsfütterung. Zudem habe man eine mobile Tränke mit automatischer Pumpe installiert. Ein täglicher Kontrollgang mit Nachschub zur Fütterung, kleine Ausbesserungen und jährlich ein Pflegeschnitt“, das seien jetzt die Aufgaben der Männer von der APV.
Georg Nikelski, der Geschäftsführer der Greifswalder Ostseestiftung, spricht von den konzeptionellen Arbeitsschritten: „Mit zwei Staustufen im Graben heben wir den Wasserspiegel kontrolliert an“. Durch die steigende „Grundwasserlamelle“ entstehe eine ausgewogene Wasserversorgung. Die an tiefer gelegenen Stellen bereits vorhandene Torfoberfläche könne sich so weiter aufbauen und eine vielfältige Pflanzengesellschaft entwickeln. Ob hier langfristig der ursprüngliche Zustand mit einer Salzwiese entstehen kann, vermag Nikelski derzeit nicht zu sagen: „Zunächst lassen wir ein ,Höhenmodell’ erstellen, dann weiß man genau, wohin das Wasser fließen würde, wenn der Deich einmal geöffnet werden sollte“. In einem solchen Fall müsse weiter südlich ein neuer Schutzdeich angelegt werden. Dabei denkt der Geschäftsführer der Ostseestiftung an einen Zeitraum bis zu 15 Jahren.
Aus dem Stiftungskapital hat die Ostseestiftung 2013 das Weideland am Kubitzer Bodden von der Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft des Bundes (BVVG) für knapp eine halbe Million Euro erworben. Zuvor hatte die APV das Land gepachtet und darauf intensive Grünlandwirtschaft betrieben. Die reichliche Grasernte verarbeitete der Betrieb zu Silage für die Milchvieh-Fütterung. Um konventionell arbeitenden Landwirten die Zusammenarbeit schmackhaft zu machen, werden sie von der Ostseestiftung bereits im Auswahl- und Planungsprozess einbezogen.
Mit Flächentausch und Ausgleichszahlungen für Wegfall der Grasernte entstehen dem landwirtschaftlichen Betrieb keine wirtschaftliche Nachteile. Auch die Pflege und extensive Bewirtschaftung der Renaturierungsflächen wird bezahlt. So kommt es gar nicht zum sonst verbreiteten Gegeneinander zwischen Naturschutz und konventioneller Landwirtschaft.
Das Projekt am Kubitzer Bodden ist Teil einer großräumigen Maßnahme: In der Boddenlandschaft zwischen der Rostocker Heide im Westen, der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, der Insel Hiddensee bis hin zur Westrügenschen Boddenlandschaft im Osten ist bis zum Jahr 2020 die Renaturierung von mindestens 200 Hektar einstiger Küstenüberflutungsräume geplant. So wird es auf der Website schatzküste.com beschrieben. Für das Projekt mit Namen „Schatz an der Küste“ zeichnet der WWF verantwortlich und kooperiert dabei mit acht weiteren Umweltverbänden, darunter auch mit der Ostsee-Stiftung. In diesem Projektrahmen steht die Wiedervernässungsfläche am Kubitzer Bodden.
Es handelt sich hier eindeutig nicht um Kühe (s. Überschrift), sondern um männliche Rinder, im Text sind es auch auf einmal Bullen bzw. Rinder. Wenn man es nicht genau weiß oder sehen kann, stimmt der Oberbegriff für diese Tierart „Rinder“ immer.
Ach, lieber Professor Heun. Das macht den Unterschied zwischen Wissenschaftern und Journalisten aus. Die letzteren nehmen es in Überschriften des Sprachwitzes wegen nicht immer so genau. Im Bericht muss aber alles stimmen.
Ich freue mich immer, wenn Sie unsere Beobachtungen auf der Insel begleiten.
Herzlich Ihr
fl