Rügen, Juni 2015. Napoleon verliert seine letzte Schlacht bei Waterloo, Otto von Bismarck liegt noch in den Windeln. Da müssen sich die Rüganer auf eine neue Obrigkeit einstellen: Die Insel mitsamt Vorpommern wird preußisch – nach 167 Jahren Herrschaft unter schwedischer Krone. Am 7. Juni 1815 setzen die diplomatischen Abgesandten des schwedischen und des preußischen Königshauses ihre Unterschriften unter das „Wiener Traktat“. Der Übergang des Territoriums wird damit besiegelt und vier Monate später vollzogen. Jetzt, genau 200 Jahre danach, ist das Datum wenig beachtet. Weder eine Ausstellung, noch eine Feier ist zu diesem historischen Tag auf Rügen angesagt.
Wie ging es den Rüganern damals? Das „gemeine“ Volk auf der Insel hatte kein Zuckerschlecken in diesen Jahren, was weniger an der schwedischen Krone lag. Es war hauptsächlich der alteingesessene Landadel – er verpflichtete und erniedrigte die Bauern zu Leibeigenen, beraubte sie ihrer Scholle und zwang sie zu Frondiensten. Das „Bauernlegen“ machte die Runde – die Enteignung von Ackerland und Höfen durch Grundherren, die fortan alles selbst bewirtschaften wollten. Und zwar mithilfe genau der Bauern, die sie zuvor enteignet hatten.
Später beteiligt sich auch der hier niedergelassene schwedische Adel am „Bauernlegen“. Der auf Schloss Spycker residierende schwedische Generalgouverneur und Feldmarschall Carl Gustav von Wrangel lässt 1668 im Dorf Teschenhagen für seine Gutsherrschaft einen Acker anlegen.
Dafür müssen die Bauern ihr Land hergeben, für die weitere Überlassung von Haus und Grundstück zur eigenen Bewirtschaftung dem Gutsherren Zinsen und Naturalien liefern, „Hand- und Spanndienste“ leisten, etwa die Felder bestellen.
Wie verbreitet der Niedergang der Bauernschaft 120 Jahre später ist, belegen Zahlen aus der vom schwedischen Königshaus veranlassten Volkszählung: Von den 23.431 Rüganern sind 70 Prozent leibeigen. Was das im Leben der Menschen ausmacht, dokumentiert 1786 Thomas Heinrich Gadebusch in seiner Schwedisch-Pommerschen Staatskunde: „Leibeigene Untertanen sind gleich dem Grund und Boden … als ein in den Gütern steckendes Kapital angesehen“. Und weiter: Ohne Einwilligung ihrer Erbherren dürfen sie sich nicht aus den Gütern entfernen. Die Erbherren können ihre Leibeigenen verkaufen, tauschen und verpfänden. Menschen als Kapital ansehen, sie verkaufen… Was würden wir heute dazu sagen? Sklaverei, Verstoß gegen die Menschenrechte.
Den oberen Ständen indes geht es prächtig. Als schwedische Untertanen können sich Pommern in Schweden niederlassen und Schweden in Pommern. Davon macht vor allem der Adel Gebrauch. So gelangte auch der schwedische Generalgouverneur Wrangel an die Herrschaft Spycker auf Rügen und avancierte bald mit dem größten Grundbesitz auf der Insel zur Rügianischen Ritterschaft. Wrangel lässt Haus Spycker zum Schloss umgestalten und 1662 das gesamte Gebäude rot verputzen – in etwa so wie es heute aussieht. Auch einen Park lässt er anlegen, in dem sich jetzt die ältesten Linden auf der Insel befinden. „Auf Rügen ist Schloss Spycker die auffälligste Hinterlassenschaft der schwedischen Krone“, sagt Historiker und Buchautor Dr. Fritz Petrick.
Beachtlichen Einfluss in den Landgemeinden hatten in der Zeit schwedischer Herrschaft auch die Geistlichen in 27 Inselpfarreien. „Der Landesherrschaft … dienten Rügens Pastoren gleichsam als Beamte“, schreibt Fritz Petrick in seinem Buch „Rügens Schwedenzeit 1648 – 1815“.Unter ihrer Aufsicht habe das gesamte Schulwesen gestanden. Pastoren genossen Privilegien als Zugehörige des Zweiten Standes. So waren die Pfarreien ihr Eigentum, das sie auch vererben konnten.
Zwei Pastoren aus dieser Zeit findet man übrigens auf Bildnissen in der St.-Johannes-Kirche zu Rambin: Daniel Harder sowie seinen Sohn und Nachfolger Karl Lorenz Harder. Weitere Bildnisse von Pastoren befinden sich in den Kirchen von Altefähr und Zirkow.
Blick zurück auf die Anfänge der schwedischen Zeit: Für das Fürstentum Rügen und das Herzogtum Pommern begann alles als Resultat des Dreißigjährigen Krieges. Im Osnabrücker Friedensvertrag von 1648 tritt der römisch-deutsche Kaiser Ferdinand III. unter anderem ganz Vorpommern und die Insel Rügen ab.
Stralsund wurde alsbald zu einer von zwei Hauptfestungen ausgebaut und war ab 1720 auch Regierungssitz. Für die Schiffsverbindung mit Schweden wurde auf demRügener Wittower Bug ein Posthafen angelegt. 1806, nachdem sich das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ aufgelöst hatte, gewann König Gustav IV. Adolf die volle Souveränität über Schwedisch-Pommern. Er verfügte eine umfassende Verwaltungsreform, bei der auch der Landkreis Rügen mit Sitz in Bergen entstanden ist – das „Bergensche Härad“.
Große Pläne hatte der König in diesen Jahren. Auf Mönchgut sollte bei Klein Zicker ein Hafen angelegt werden und nahe Groß Zicker eine Seehandelsstadt mit all dazugehöriger Infrastruktur bis hin zu einem Theater und einer Handwerks- und Landwirtschaftsschule. Napoleons Truppen zerstörten die noch unvollendeten Anlagen nach der Besetzung Rügens im Jahr 1807.
Zwei Tage vor Ende des Wiener Kongresses, bei dem in Europa die Grenzen neu gezogen werden: Für die Abtretung von Pommern und Rügen verpflichtet sich der König von Preußen am 7. Juni 1815 „drei Millionen fünfmalhundertausend Reichsthaler“ an Schweden zu zahlen. Bis zur offiziellen Übergabe des Territoriums sollten noch ein paar Monate vergehen: Die fand am 23. Oktober 1815 im großen Saal des Schwedischen Regierungsgebäudes in Stralsund statt. Im Oktober unseres Jahres wird die Hansestadt dieses Ereignisses in einer Festwoche gedenken. Und die Gesellschaft für Pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst wird sich bei ihrer Jahrestagung in Binz diesem Thema widmen. So kommt das historisch bedeutsame Ereignis in unserer Gegend doch noch zu einer Würdigung.