26. Januar 2020. Sie ist eine betagte Piste, die heutige Bundesstraße 96, eine Fernstraße mit Geschichte und Geschichten. Heute reicht sie von Sassnitz über Stralsund, Neubrandenburg, Berlin, den westlichen Spreewald, Bautzen bis nach Zittau im Dreiländereck von Deutschland, Polen und Tschechien. Von 1836 an ließ Großherzog Georg das Chausseenetz in seinem Herrschaftsbereich ausbauen, um so den Handel zu beflügeln. Es entstand eine Chaussee von Altentreptow über Neubrandenburg, Neustrelitz bis Dannenwalde. Das war die Keimzelle der heutigen Straße zwischen Ostsee und Sachsen. Hundert Jahre später wurde das Fernstraßen-System in der gesamten Weimarer Republik nummeriert. Die Strecke von der Ostsee bis nach Sachsen bekam die Nummer 96. Die Rock- und Popgruppe Silbermond aus Sachsen hat zu dieser „Kultstrecke“ im Jahr 2016 eine ungewöhnliche Liebeserklärung intoniert: den Song „B96″.
Die vorangestellten Buchstaben waren auch Gesinnungsbotschaften der jeweiligen Staatslenker: Aus dem „neutralen“ FVS für Fernverkehrsstraßen in der Weimarer Republik wurde bei den Nationalsozialisten das R für (Deutsches) Reich hervorgehoben, so gab es während des „tausendjährigen Reichs“ die R 96. Während nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen das B für Bundesstraße festgelegt wurde, folgte die Begrifflichkeit in der DDR einer anderen Logik: Das Kürzel „F“ für Fernverkehrstraße wurde bereits bis zur Einführung des „R“ im Jahre 1934 als einfachere Form für „FVS“ vom Reichsverkehrsministerium der Weimarer Republik verwendet. Aus naheliegenden Gründen hatte die DDR dieses Verwaltungskürzel übernommen – schließlich gab es kein Reich mehr und im Osten auch keinen Bund. Sie gab der längsten Fernverkehrsstraße im Arbeiter- und Bauernstaat die Bezeichnung F 96.
Eine Besonderheit musste man sich in der DDR für Berlin einfallen lassen – die alte 96 verlief mitten durch West-Berlin. So machte ab 1949 die Strecke einen großen Bogen über Ost-Berliner Gebiet. Heute heißt diese Ost-Strecke B 96a.
Der alte Abschnitt zwischen Greifswald und Stralsund, gebaut zwischen 1927 und 1930, führte weitgehend über Kleinsteinpflaster aus schwedischem Granit. Heute steht dieser Abschnitt mit dem wertvollen Pflaster und der Alleebepflanzung unter Denkmalschutz. Von 1966 bis 1968 wurde diese Strecke völlig neu gebaut und erhielt die Bezeichnung F 96a. Nach der Wende 1990 gab man ihr zeitweilig die Bezeichnung B 96a – so wie in Berlin –, was eigentlich nach den Richtlinien für die Straßenbenennung nicht hätte sein dürfen. Heute ersetzt die Autobahn 20 von Neubrandenburg bis zur Abfahrt Süderholz bei Stralsund den Streckenverlauf der alten Fernstraße. Auf dem Rügenzubringer leuchten wieder die gelben Schilder B 96. Die 2007 fertiggestellte Strelasundquerung („Rügenbrücke“) ist ein Bauwerk der Superlative und führt direkt auf Rügens wichtigste Touristenstraße als B 96 weiter bis nach Sassnitz. Der Neubau der B 96n zwischen der Rügenbrücke und der „Inselhauptstadt“ Bergen hat in den Jahren 2007 bis 2019 die Gemüter zwischen Protest und Befürwortung heftig bewegt.
Besonderheiten finden sich auch auf der Strecke nach Sachsen. Studenten der Universität Greifswald haben die „Burgen-, Turm- und Schlosstour“ kreiert und verbinden fünf Ausflugsziele mit der B 96 – darunter die Burg Klempenow. Kommt man von dort, führt die Strecke in Neubrandenburg geradewegs auf das Friedländer Tor und dann westlich auf dem Engels-Ring um den Stadtkern herum. Von Süden aus findet man abseits der B 96 Burg Stargard. Von hier aus führ die Straße auf das Stargarder Tor und den Doppelringwall um die mittelalterliche Stadtmauer in Neubrandenburg.
Wo einst die vom Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz gebaute „Urzelle“ der 96 endete, hat der Ort Dannenwalde 1977 in spektakulärer Weise von sich Reden gemacht: Die hier passierte Raketenkatastrophe war eines der meist gehüteten Geheimnisse der DDR. Hunderte von Katjuscha-Raketen der Sowjetarmee sind damals in die Luft gegangen. Nähere Umstände und eine Opferzahl weiß man bis heute nicht genau. Es wird vermutet, dass es unter den Soldaten bis zu 300 Tote gegeben hatte.
Nördlich von Berlin streift die B 96 Oranienburg, die alte Residenzstadt der Kurfürsten von Brandenburg. In der Regierungszeit von Friedrich III. entwickelte sich der Ort zur bedeutendsten Schloss-, Garten- und Stadtanlage in der Mark Brandenburg. Im Nordosten der Stadt erinnert die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen an das einstige KZ.
Sächsische Bierkultur wird alljährlich im Juni beim Eibauer Bierzug gepflegt – am Rande der B 96, die hier Hauptstraße heißt. Namensgleich wie in Rambin, wo vor ein paar Jahren die einzige Bierbrauerei auf Rügen eröffnete und seither international Erfolgsgeschichte als handwerklich gemachtes Edelbier feiert. Nur zu einem Bierumzug hat es die kleine Gemeinde Rambin im Südwesten der Insel Rügen noch nicht gebracht.
Nach 545 Kilometer Länge endet die B 96 auf der Strecke von Sassnitz nach Zittau.
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Wann würde die F96 zu DDR Zeit als Umgehungsstraße aus Bergen auf Rügen gebaut. Früher ging sie durch die Stadt Bergen.
Vielen Dank für den schönen Bericht… wir fahren die Tage nach Zittau und dann die B96 bis nach Sassnitz. Mir war dabei micht klar, wie es von Neubrandenburg bis nach Stralsund weiter geht. Dank dem wunderbaren Artikel, weiß ich das jetzt 🙂
Gute Zeit weiterhin 🙂