Neklade, Juli 2014. Süße Milch gibt’s aus dem Getränkeautomaten – allerdings nur für die Kälbchen. Und wenn die künstliche Besamung nicht klappt, muss Zuchtbulle Alfred ran. So geht das auf dem Bauernhof in Neklade bei Bergen, wo Mitte Juni „Offener Hof“ angesagt war. Mehr als 2.500 Rüganer und Touristen haben das genutzt und sich über moderne Landwirtschaft informiert, frische Milch, Käse und andere Leckereien probiert. Die Kinder freuten sich besonders über die Fahrten mit dem Trecker.
Mit der Aktion wirbt Genossenschaftsleiter Hermann Tophoff (64) um Vertrauen in die Landwirtschaft: „Wirtschaftliche Produktion geht bei uns nicht auf Kosten von Qualität“. Moderne Technik schaffe günstige Voraussetzungen, dazu die ideale Betriebsgröße: 380 Milchkühe, 350 weibliche Nachzuchtrinder, 210 Mastbullen und zwei Zuchtbullen werden hier gehalten. Hauptsächlich Weizen, Gerste und Raps gedeihen auf den Äckern, die mit 1090 Hektar insgesamt so groß sind wie 1900 Fußballfelder.
Das überzeugt auch Josef Kötters (75) aus Dorsten im Norden des Ruhrgebiets. Der Urlauber, selber Landwirt in Nordrhein-Westfalen: „Früher haben wir die LPG’s im Osten belächelt, heute sind die Nachfolger Vorzeigebetriebe, von denen wir uns eine Scheibe abschneiden können.“ In Nordrhein-Westfalen hätten die Betriebe im Schnitt nur sechzig Milchkühe und viel kleinere Ackerflächewn. Die Landschaft sei vielerorts zersiedelt und erlaube kaum effektive Landwirtschaft. Hier, auf Rügen, mit landwirtschaftlich genutzen Flächen von mehr als 1000 Hektar wie in Neklade rechne sich die Investition von großen und teuren Maschinen.
Auf Fragen dazu lässt sich Betriebsleiter Tophoff nicht lange bitten: „Fünf Schlepper von 100 bis 350 PS, dazu ein so genannter Knicklenker mit Doppelbereifung und 600 PS sind die ‚dicksten‘ Zugmaschinen mit Anschaffungskosten bis zu 300.000 Euro. Auf dem Acker liefen sie GPS-gesteuert auf zwei Zentimeter genau in der Spur. Insgesamt habe die Argrargenossenschaft fünf Millionen Euro Kapital im Betrieb stecken und setze jährlich rund zwei Millionen Euro um. Seit 2005 schreibe der Betrieb „schwarze Zahlen“. Mit elf Arbeitskräften und zwei Auszubildenden werde er von zwei Betriebsleitern „schlank gemanagt“.
Kern der Genossenschaft ist die Milchproduktion. Durchschnittlich 10.000 Liter werden täglich an die Molkerei in Bergen geliefert. Die daraus erzeugte Milch wird hauptsächlich in der Region verbraucht, der hergestellte Käse – unter anderem der „Rügener Badejunge“ – ist allerdings inzwischen eine bekannte Marke in ganz Deutschland.
Eine Milchkuh gibt bis zu 50 Liter Milch am Tag. Innerhalb von zehn Monaten geht die Leistung langsam zurück auf 20 Liter. Danach werden die Muttertiere künstlich besamt. Wenn das wiederholt nicht klappt, muss Zuchtbulle „Alfred“ ran. Die trächtigen Kühe kommen auf die Weide und können regenerieren. Zehn Tage vor dem Kalben kommen sie wieder in den Stall. Und der Zyklus der Milchproduktion geht wieder von vorn los.
In den ersten acht Tagen nach der Geburt finden die Kälbchen Schutz in so genannten Iglus. Hier haben sie ihr günstiges Klima und eigenen Freiraum. Danach kommen sie in einen abgegrenzten Bereich innerhalb des Stalls und ernähren sich selbst am Trinkautomaten mit „süßer Milch“. Diese wird aus Milchpulver und Mineralien hergestellt. Ein Chip, den die Kälber am Halsband tragen, gibt das begehrte Getränk frei, sobald sie den Kopf in den Trinkautomaten stecken und am künstlichen Euter nuckeln.
Zwei Mitarbeiter sind den Tag über damit beschäftigt, die Kühe zu melken. Das geschieht im Melkstall, wo jeweils 20 Tieren zunächst die Euter gesäubert werden und dann das Melkgeschirr angesteckt wird. So läuft das jeden Tag auf dem Hof.
Manchmal aber gibt’s Überraschungen: Bergen hatte die Stadt fein herausgeputzt, die Straßen rundum gereinigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel war angekündigt. Just in der Nacht zuvor büxten dreißig Kühe von der Weide in Neklade aus und machten sich über die Straßen auf nach Bergen. Die Strecke auf dem Weg zur Bahnhofstraße war danach mit zahlreichen anrüchigen Hinterlassenschaften verziert, und auch in einigen Vorgärten gaben sich die Besucher die Ehre. Schließlich haben Mitarbeiter des Hofs die Ausreißer zusammengetrieben und auf Anhängern zurück auf die Weide gebracht. Ob die Strecke clean gemacht war, als die Kanzlerin kam, ist nicht überliefert.