Rambin, August 2017. Ausgerechnet im Luther-Jahr. Jetzt, wo die halbe Welt der Reformation vor 500 Jahren gedenkt, will die evangelische Kirchengemeinde das historische Pfarrhaus in Rambin abreißen lassen – ein Verlust an orts- und kirchengeschichtlicher Erinnerungskultur. So sehen es die einen; das sind Freunde historischer Bausubstanz auf Rügen.
Die anderen gehören zur Evangelischen Kirchengemeinde Altefähr/Rambin. Sie ist Eigentümerin des mehr als 250 Jahre alten Pfarrhauses auf dem 1,7 Hektar großen Grundstück zwischen alter und neuer B 96, unweit vom Rambiner Dorfkern gelegen. Das denkmalgeschützte, reetgedeckte Fachwerkgebäude im inzwischen verwilderten Pfarrgarten ist für die Kirchengemeinde mehr Last als Lust. Zu groß ist nach ihrer Auffassung der Aufwand, um das heruntergekommene Haus instand zu setzen und denkmalgerecht zu restaurieren.
So hat sie im Oktober vergangenen Jahres bei der Denkmalbehörde in Schwerin eine Abrissgenehmigung bewirkt und ein Exposé mit Ideen für die Zukunft der Immobilie entworfen. Anstelle des Pfarrhauses sollen demnach zwei neue Gebäude entstehen. Eines mit sechs bis zehn Appartements für betreutes Wohnen, ein weiteres als „Begegnungszentrum St. Johannes“ für kirchliche, soziale und kulturelle Zwecke. Über Kosten und Finanzierung könne die Kirche nichts sagen, „da das Projekt noch in der Entwicklungsphase ist,“ schreibt Kirchensprecher Sebastian Kühl in einer Stellungnahme an die OZ, „Förderanträge werden derzeit erst noch vorbereitet.“ Auch einen konkreten Zeitplan gebe es noch nicht.
Mit einem Nutzungskonzept für „intensives ambulant betreutes Wohnen“ will der Inselverein Kransdorf Wohn- und Gemeinschaftsräume mit Küche und Betreuerbüro von der Kirchengemeinde mieten. Auch in den Betrieb des Begegnungszentrums will sich der Insel e.V. einbringen. Die vom Verein betreuten Menschen „könnten diese Räume aktiv und passiv nutzen und mitgestalten“. Das Begegnungszentrum mit einem Saal für bis zu 70 Personen soll auch für nicht kirchliche Zwecke offen sein. Gedacht wird an ein „inklusives Café mit Verkaufsraum“, in dem behinderte oder psychisch kranke Menschen unter der Anleitung einer Koordinations-Person Beschäftigung finden. Sie könnten auch Pflegeaufgaben im großen Pfarrgarten übernehmen. Im Café könnten Töpferwaren, Gemüse aus ökologischem Anbau und andere Produkte des Insel e.V. angeboten werden.
Nach der Ideenliste der Kirchengemeinde soll auch Raum geschaffen werden für Ausstellungen über Kunst aus der Region, zum Thema „Ernst-Moritz-Arndt auf Rügen und in Rambin“, ein Koch- und Genuss-Event „Rambiner kochen für Rambiner“ und für einen Proberaum des Rambiner Volkschors. Zudem könnten die Räume für öffentliche und private Veranstaltungen vermietet werden, wahlweise mit oder ohne Catering. Bürgermeister Christian Thiede (FDP) und die Gemeindevertretung von Rambin können sich mit diesen Plänen durchaus anfreunden. Gleichwohl gilt noch der im Vorjahr gefasste Beschluss, nach dem die Gemeinde einem Abriss des alten Pfarrhauses vorerst die Zustimmung versagt. Man wolle vermeiden, dass hier eine Abrissruine entsteht. Denn ob und wie das neue Projekt gelingt, hängt von seiner Finanzierbarkeit ab. Insider sprechen hinter vorgehaltener Hand von 1,2 Millionen Euro Gesamtkosten. Der Kirchengemeinderat, der über die Investition das Sagen hat, spricht sich für das Projekt aus.
Es gibt aber auch Widerspruch: „Das Vorhaben ist völlig überdimensioniert, das ist aber meine private Meinung,“ sagte ein Kirchengemeinderatsmitglied kürzlich bei einem Treffen von Interessenten am Erhalt des Pfarrhauses.
Eigentlich wollen alle nur das Beste. Doch der Streit zwischen Anhängern des Neubauprojekts und Befürworter eines Erhalts schwelt weiter. Für letztere sind evangelische Pfarrhäuser nicht allein Baudenkmäler, sondern auch Orte mit Nährboden für Bildung und Wissenschaft. Viele Pfarrerssöhne machten Karriere als Wissenschaftler – Heinrich Schliemann (Ausgrabung von Troja) oder Alfred Edmund Brehm („Brehms Tierleben“) sind prominente Beispiele.
Mit solchen Meriten kann sich der Sohn eines der letzten protestantischen Geistlichen aus dem Rambiner Pfarrhaus (Hans Lübke, 1946 bis 1953) nicht schmücken. Sohn Matthias-Martin Lübke, geboren 1952 in diesem Pfarrhaus, lebt inzwischen in der Nähe von Freiburg.
Seit Sommer letzten Jahres kämpft er als Initiator eines „Initiativkreises“ für den Erhalt seines Geburtshauses und signalisiert der Stralsunder Pröbstin Helga Ruch: „Gerne unterstützen wir das auch eventuell finanziell.“ Für das geplante Sozialprojekt komme man erheblich einfacher an Fördermittel, wenn die alte Bausubstanz erhalten bleibt.
Erfahrung bei Rettung alter Kirchenimmobilien hat Frieder Jelen. Als Pfarrer in Poseritz hatte er Anfang der Siebzigerjahre mit vielen hilfreichen Händen das bereits aufgegebene Pfarrhaus des Ortes in Abstimmung mit der Denkmalbehörde instand gesetzt. Auch sein jetziges Wohnhaus in Middelhagen hat er im originalen Grundriss der einstigen kirchlichen Scheune umgebaut. Jelen, 1993/94 auch Umweltminister des Landes MV, fordert einen „Plan B“ zur Wiederherstellung des Rambiner Pfarrhauses mit einem angepassten Nebenhaus zur Nutzung für betreutes Wohnen: „Ich hoffe, dass die Abrisspläne noch einmal gründlich überdacht werden; wenn der Wille vorhanden ist, ein so wertvolles Baudenkmal zu retten, dann kann das auch gelingen.“
Auch der Vorsitzende des Vereins Insula Rugia Prof. Dr. Hans-Dieter Knapp spricht sich dafür aus: „Wir sollten es nicht unversucht lassen, für eine Rettung des geschichtsträchtigen Hauses zu streiten. Die Unterstützung von Insula Rugia sage ich zu.“ Kunsthistorikerin Dr. Sybille Berger sieht das Pfarrhaus im größeren Zusammenhang: „Rambin gehört zu den wenigen Orten auf Rügen, die nicht nur eine historische Dorfkirche als Zentrum besitzen, sondern noch das gesamte bauliche Ensemble der Funktionseinheit eines Pastorats aufweisen können – neben dem alten Pfarrhaus auch das Küsterhaus und das Pfarrwitwenhaus, alle im Umkreis der St.-Johannes-Kirche.“ Es wäre ein schlechtes Vorzeichen, sagt sie, Neues auf Zerstörung zu bauen.
Wie es um das alte Gebäude bestellt ist, lässt sich unschwer von außen besichtigen: Die Fachwerkbalken an einigen Stellen morsch, das Reetdach undicht und provisorisch mit einer Plane abgedeckt. Freunde des Erhalts können sich den inneren Zustand des Gebäudes nicht so leicht erschließen. „Die Kirche lässt Leute, die sich dafür interessieren, nicht rein,“ klagt Pfarrerssohn Matthias-Martin Lübke, der sein Geburtshaus zusammen mit einer Expertin für die Wiederherstellung alter Gebäude das Haus innen besichtigen wollte: „Auf meine Bemühungen wurde als Antwort eine sofortige Abrissgenehmigung beantragt, während man so getan hat, als würde man auf meine Bedenken eingehen. Kein feines Verhalten und für kirchliche Institutionen nicht angemessen.“
Im Gebäudeinneren indes kennt sich Hans-Jürgen Hartmann aus: „Durchs Dach regnete es bis ins Erdgeschoss rein, da regierte der Schimmel. Nachdem ein Gutachter die Balken freigelegt hatte, bekamen wir einen Schreck, kein Balken stand mehr auf dem Fundament, es knirschte im Gebälk.“ Bis Sommer 2015 war Hans-Jürgen Hartmann der letzte Bewohner.
Ist die Kirche noch offen für Alternativen zum Abriss? „Selbstverständlich sind wir angesichts der Forderungen nach Erhalt des alten Pfarrhauses noch offen für eine andere Lösung,“ so Kirchensprecher Sebastian Kühl gegenüber der OZ, „bislang liegen der Kirchengemeinde aber keine konkreten, umsetzbaren Vorschläge für den Erhalt vor.“