Von Frank Levermann
Rambin, Dezember 2016. Es gibt Begriffe, über deren Bedeutung man besser nicht lange nachdenkt: Flächenstaat ist so einer – viel Fläche, wenige Einwohner. Das wäre die umgangssprachliche Erklärung. Politiker und Planer meinen mit Flächenstaat jene Bundesländer, die nicht Stadtstaaten sind. Also alle außer Hamburg, Bremen und Berlin. Mecklenburg-Vorpommern ist, so gesehen, sehr „flächig” – also: ziemlich wenige Einwohner für die Größe. Stimmt. Wenn wir dieser Logik folgen, könnten wir Rambin „Flächendorf“ nennen. Auf dieser Seite werden wir den Charakter der Gemeinde näher betrachten.
Auf der Gemeindefläche von 31 Quadratkilometern leben in elf Ortsteilen knapp tausend Menschen. Mit 39 Quadratkilometern nicht wesentlich größer ist Stralsund auf dem Festland direkt vor der Insel Rügen. 58.000 Einwohner teilen sich die Fläche der stolzen Hansestadt. Kurzum – Stralsund hat viel mehr Menschen. Hinzu kommen weithin gepriesene Kulturgüter und moderne Infrastruktur. Rambin dagegen: weniger Leute, es passiert hier nicht so viel und große Infrastruktur braucht man nicht. Das kann auch wohltuend sein. Hier findest Du einen Ort zum Ausspannen, zum Wohnen allemal. Gleichwohl: Besonderes gibt es auch in der Tausend-Seelen-Gemeinde. Davon soll hier die Rede sein.
Wenn Du das Festland bei Stralsund verlässt, bist Du in wenigen Minuten auf der Insel Rügen. Einer der ersten Orte, die Du mit dem Auto oder Zug streifst, ist Rambin – ein schmuckes Nest mit historischem Dorfkern. Die Gemeinde liegt abseits der Touristenströme: Keine Strandpromenade, keine Shoppingmeile, kein Veranstaltungszentrum. Hier breitet sich der stille Westen Rügens aus. In der weiten, grünen Landschaft rund um den Kubitzer Bodden kannst Du Ruhe atmen und Natur genießen. Und wenn Du groß einkaufen, ins Theater, Kino oder schick essen gehen willst: Zehn Minuten mit dem Auto oder Zug und schwupps, schon bist Du in der wunderschönen Hansestadt Stralsund, die wir Rambiner längst ins Herz geschlossen haben. Um es mal klar und endgültig zu sagen: wir erklären hiermit feierlich Stralsund zum Vorort von Rambin.
Manches hat hier tiefe Geschichte und Tradition: Die Johannes-Kirche, die kleine Kapelle in Bessin und ein altes Kloster. Selbst die Durchgangsstraße B 96 ist eine historische Story wert. Aktuell gibt es in Rambin ziemlich alles, was Du für Dein tägliches Leben brauchst. Die Praxis für Allgemeinmedizin mit erfahrener Ärztin, die umsichtige Zahnärztin, eine Freiwillige Feuerwehr, ein Museum mit zugehörigem Verein, zwei Friseurinnen, einen Bäcker- und einen Blumenladen, einige private Ferienunterkünfte, einen Sportverein, einen Bootshafen mit Anglerverein, viel bürgerschaftliches Engagement. Und jede Menge netter Leute.
In der Alten Pommernkate können Touristen auf der Heimreise noch schnell ein paar Geschenke für zu Hause ergattern. Vielleicht auch eine der inseltypischen Leckereien verspeisen. Fisch aus hauseigener Räucherei, Brötchen und Kuchen aus eigener Bäckerei sind auch bei Einheimischen sehr beliebt.
Hier haben jüngst zwei Männer mutig in die Zukunft des Standortes Rambin investiert: Marco von Kessel in einen neuen Ausstellungsraum für regionale Handwerkskunst in der Pommernkate und Macus Berberich eine Edelbrauerei für alte, handwerklich hergestellte Biersorten. Vom Start weg, seit 2015, schreibt die kleine Craftbier-Brauerei eine schier unglaubliche Erfolgsgeschichte. Die edlen Biersorten werden inzwischen weltweit verkauft.
Rambin hat nahe am Wasser gebaut. Das liegt nicht nur am Kubitzer Bodden, der nur einen Katzensprung vom Ortskern entfernt ist. Früher gab es in den Ortsteilen nämlich veritable Probleme mit den Straßen und Wegen: Beim ohnehin hohen Grundwasserspiegel verwandelte langanhaltender Regen manche Strecke in eine Schlammpartie. Heute hat man das mit Straßenbau, Entwässerungsgräben und Schöpfwerken im Griff.
Auf den Weiden am Kubitzer Bodden sammelt sich dennoch winters das Wasser. Bei anhaltenden Minustemperaturen bilden sich dann große Eisflächen. Für Einheimische willkommene Gelegenheit, die Schlittschuhe aus dem Keller zu holen oder das Surfboard fürs Eissurfen umzurüsten. Man macht eben das Beste draus. Für Besucher ist es noch ein Geheimtipp.
Ortsmittelpunkt ist die Johannes-Kirche, erstmals 1246 erwähnt. 1738 entstand der Altar, und Anfang des 18. Jahrhunderts erhielt die gotische Backsteinkirche im Inneren die heute noch erhaltenen barocken Gestaltungselemente. Der Taufstein stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Wandmalereien aus der Zeit um 1700 zeigen Christus als Weltenherrscher und die vier Evangelisten. Aus dieser Zeit stammt auch die tonnenartig gewölbte Holzdecke. Freigelegt wurden die Fresken bei Restaurierungsarbeiten in den 1980er Jahren. Kirchturm und Dachstuhl wurden nach 1990 wieder hergerichtet. Im Innenraum wurden die Decke und das Gestühl von Einheimischen saniert und ausgemalt. Die von hoch aufragenden Kastanien umsäumte evangelische Johannes-Kirche ist eines der ältesten Kirchengebäude der Insel Rügen.
Ganz in der Nähe liegt das Kloster St. Jürgen vor Rambin. 1334 wurde es vom damaligen Stralsunder Ratsherren Godeke von Wickede als Hospital gestiftet. Das Kloster war Eigentümer großer Landflächen im Südwesten von Rügen und finanzierte aus den Erlösen seine karitativen Aufgaben. Seit der Säkularisation gehört das Kloster der Stadt Stralsund – mitsamt historisch gewachsenen Wohngebäuden, der parkartigen Umlage und den alten Obstgärten. Erhalten sind von dem Gesamtkomplex neben der Kapelle noch sechs Wohn- und Zweckgebäude und – in Rudimenten – die historischen Gärten. An der südlichen Giebelseite des Langhauses befindet sich ein Relief des Heiligen Georg. Der alte Baumbestand aus Linden und Kastanien begrenzt den Gesamtkomplex. Seit 1982 steht das Ensemble unter Denkmalschutz. An allen Gebäuden nagt der Zahn der Zeit. Heute wird die Anlage nur noch in Teilen zu Wohnzwecken genutzt. Die Stadt Stralsund sucht seit Jahren für die Anlage einen Investor.
Fünf Kilometer weiter nordwestlich liegt der Ortsteil Bessin, dem man heute noch das einstige Angerdorf ansieht. Sehenswerten in der Ortsmitte ist die kleine achteckige Backsteinkapelle Zum Heiligen Kreuz, 1482 erbaut. Im 17. Jahrhundert entstand der vorgebaute Glockenerker. Seither hat sich der gotische Backsteinbau in seiner äußeren Gestalt nicht verändert. Die Bessiner Kapelle gibt ein Beispiel für das Zusammenwirken von Gemeinde und privater Initiative wie es oft in kleinen, selbstverwalteten Orten funktioniert: Um den Unterhalt des äußeren Bauwerks und um die Umlage kümmert sich die Gemeinde. Für das Innenleben sorgt der Förderverein Kapelle zum Heiligen Kreuz e.V., 1998 gegründet. Übers Jahr organisiert der Verein einige Veranstaltungen. Die einzigartige Atmosphäre beim Gottesdienst zum Erntedankfest oder bei der Adventsfeier in der Bessiner Kapelle ziehen Besucher von der Insel und aus Stralsund an.
Nicht weit entfernt vom Rambiner Ortskern findest Du Gut Grabitz mit zünftiger Piratenkneipe, Restaurant (Kneipe und Restaurant seit 2018 geschlossen) und Zimmervermietung. Oft mit urigen Typen wie Hans Blues im Programm: Wenn hier zur fortgeschrittenen Stunde Blues, Rock oder Country erklingen, kommt spontan Tanzstimmung auf. Hier spielt auch eine der Zufallsgeschichten von Rambin: Astrid und Thomas Wippich hatten das Großstadtleben in Köln satt und wollten „irgendwas in Meeresnähe machen.” Auf der Suche kamen sie in den Rambiner Ortsteil Grabitz, da stand gerade das historische Gut zum Verkauf. Und so begann – nach längerer Arbeitsphase und einer anstrengenden Durststrecke – für die Beiden die Erfolgsgeschichte des „Ältesten Piratennestes der Insel Rügen.” Ein Ort mit Geschichte: Im 18. Jahrhundert lebte hier vom elften bis zum achtzehnten Lebensjahr der berühmte Schriftsteller Ernst Moritz Arndt. Von ihm stammt unter anderem das Märchen „Die neun Berge bei Rambin”. Aber auch einige Schriften mit verquerer Ideologie.
Großes Thema war jahrzehntelang die Bundesstraße 96, Hauptschlagader des Autoverkehrs auf Rügen. Die führte früher direkt durchs Dorf. Während der Touristensaison staute der Autoverkehr kilometerlang, eine heftige Belastung für Anwohner und Reisende. Die wahnwitzige Ampelschaltung in Samtens im nächsten Ort tat ein Übriges. Mit dem Neubau der B 96n ist Verkehrsproblem für Rambin seit Dezember 2015 gelöst. Zudem entstand entlang der alten Bundesstraße ein Radweg, der jetzt die durchgängige Verbindung von Stralsund bis Samtens herstellt. Ende 2015 war die dreispurige Parallele zur alten B 96 bis Samtens fertiggestellt, Mitte 2019 auch der Anschluss von Samtens bis nach Bergen.
Der Bau der kreuzungsfreien „Rügenautobahn” hat seit der Planung bis heute auf der Insel auch Gegner. Vertreter des Umweltschutzes und Naturliebhaber monieren den Landschaftsverbrauch und setzten schon vor dem Bau einige Veränderungen durch. Zum Beispiel zugunsten des Vogelschutzes den aufwendigen Bau einer Unterführung der Eisenbahnlinie. Gegenüber dem ursprünglich geplanten Brückenbau verschlang der sogenannte Trog unter den Bahnschienen 19 Millionen Euro an Mehrkosten. Anwohner hätten im Planfeststellungsverfahren gern eine Schallschutzmauer durchgesetzt. Die aber fiel dem Rotstift zum Opfer. Jetzt sind Anlieger genervt, weil der 100 km/h schnelle Verkehr eine Menge Lärm verursacht.
Ach so, wir reden ja über das Dorf Rambin: einen Bürgermeister und eine Gemeindevertretung hat der Ort auch – für eine Tausend-Seelen-Gemeinde ziemlich komfortabel. Die Kommunalpolitiker kämpfen mit Problemen, die in Deutschland weithin zu finden sind: Wie lassen sich alle wünschenswerten Investitionen bei knapper Kasse finanzieren, wie steht es bei rückläufiger Einwohnerzahl um die Zukunft als selbstständige Gemeinde? Näheres dazu kannst Du hier erfahren.
Rambin hat auch einen „Volkschor“ mit über 20 Sängerinnen und Sänger aus Rambin, Altefähr, Samtens und Stralsund. Jeden Dienstagabend ab 18.00 Uhr wird unter Leitung von Frau Renate Paschirbe fleißig gesungen, was alle fordert, aber auch viel Spaß macht. Weitere Sangeslustige sind herzlich willkommen.
Danke für die Ergänzung. Wer sich ein Bild vom Rambiner Volkschor machen will, kann dies sehen und hören auf meinem Video unter diesem Link: http://rambin.de/20-2/20-jahre-heimatmuseum/
Lieber Herr Levermann,
ob Sie wohl wieder so nett sind, das Programm der Kapelle Bensin aufzunehmen?
Das wäre fein, wenn das klappen kann.
Herzlicher Gruß und in Vorfreude auf Südrügen!
Susanne Meyer
Tut mir leid, liebe Susanne Meyer. Der Verein hat es trotz mehrmaliger Bitte nicht geschafft, uns 2016 ein Programm für die Veröffentlichung zu schicken. Wir werden es im neuen Jahr wieder versuchen.
Liebe Grüße nach Berlin
Ihre Rügen-Entdecker